Rock Hard Times: Pop-Krise / finetunes.net / Tele / Bob Dylan

Ja, der Musikindustrie gehts mies – die Macher und Denker der Branche werden zwar nicht müde, immer neue „Trends“ und „Vermarktungsformen“ zu finden (man denke nur an den seltsamen Versuch, eine CD in drei Versionen zu verticken: ohne Cover für ganz billig, mit Cover zum Normal, und mit Bonus-DVD für ein wenig mehr – wer um alles in der Welt kauft freiwillig eine CD ohne Cover??), die Realität im Tonträgerbereich scheint aber schlimmer, als bisher vermutet. Der Spiegel hat in dieser Woche nämlich herausgefunden, dass schon 214 verkaufte CDs genügen, um sich einen Platz in den deutschen Top 100 Albumcharts zu sichern. Wow. Hier mehr:

Selbst für internationale Top-Stars läuft es in Deutschland nicht so gut, wie es auf den ersten Blick scheint: So wurde etwa für das im November erschienene Album des US-Rappers Eminem bereits nach wenigen Tagen „Platin-Status“ vermeldet – allerdings basiert die Auszeichnung auf den rund 210.000 an den Handel ausgelieferten Alben. Die Zahl der tatsächlich in der ersten Woche an der Chartspitze verkauften Scheiben: 38.410.

Gegenüber der aktuellen Nummer eins der Single-Charts verkauft sich das Eminem-Album aber sogar noch prächtig: „Call On Me“ von Eric Prydz hält sich mit fast 19.000 bundesweit verkauften Platten knapp vor Sarah Connor an der Spitze – und das gilt bereits als gute Woche. Zuletzt führte die Latino-Band Aventura die Charts mit halb so vielen Verkäufen an.

Noch mehr verblüffende Zahlenspiele zum Chartsentzaubern gibts hier.

Klar, da muss nach Alternativen gesucht werden, um auch weiterhin Musik unter die Menschen zu bringen. Ein paar weise Sätze zum Online-Musikhandel hat dieser Tage Felix Segebrecht auf tonspion.de von sich gegeben. Herr Segebrecht gilt als der Macher von finetunes.net, der deutschen Plattform für digitale käufliche Musik von Independent-Labels: von Tapete über L’age d’or bis hin zu Blue Rose Records sind die wichtigsten deutschen Indie-Labels bei finetunes vertreten. Sehr angenehm: die Jungs und Mädels dort haben sich tatsächlich einen Kopf gemacht, wie man intelligent und fair Musik online anbieten kann.

Tonspion: Stichwort Kopierschutz mit DRM-Verfahren – ist es für die Labels und Musiker nicht gefährlich, wenn sie Musik ohne jeden Schutz im Internet anbieten?

Vorsicht, Moral- und Glaubensfrage! Nein, wir glauben nicht, dass das gefährlich ist. Zum einen glauben wir, dass die meisten Leute keine gekaufte Musik in Tauschbörsen stellen. Zum anderen schaffen die die es doch tun wollen sowieso, jeden vermeintlichen Schutz zu umgehen. Wie und wie einfach das geht, brauchen wir hier wohl nicht zu wiederholen. DRM hat viele Schwächen und bringt wenig, außer denen, die DRM-Systeme anbieten und so einen Teil des Marktes kontrollieren können und dadurch das Endprodukt über Lizenzgebühren verteuern. Wir bieten ja ein DRM an, weil wir es müssen, nur nutzt es bewusst kaum eines unserer Label. Bei uns hat stattdessen jeder Track einen so genannten Fingerprint. Diese Markierung im Song weist den Käufer als Eigentümer aus. Stellt dieser den Song also in eine Tauschbörse, so wäre es also theoretisch nachvollziehbar.

Tonspion: Warum nur theoretisch?

Weil wir nicht gezielt danach suchen. Sollten wir es doch irgendwann tun müssen, so wäre das recht kostspielig und nicht ganz einfach, die Absicht nachzuweisen. Aber wir denken sowieso, dass nur eine entsprechende Kommunikation Zahlungsbereitschaft und Unrechtsbewusstsein schärfen kann und das auch nur, wenn die legalen Angebote überzeugen können!

Das ganze Interview, empfehlenswert, auch wenn’s hier und da ein wenig ins Product Placement driftet, gibts hier zu lesen.

Vermutlich eine Binsenweisheit, in diesen für die Musikindustrie so bitteren Tagen aber eine nicht zu verachtende Erkenntnis: wer sich Fans und Freunde machen will, muß raus auf die Straße und rein in die Clubs, sich die Finger wund- und sich somit einen Platz in den Herzen potentieller Fans erspielen. Das klappt in den USA seit Jahren (Acts wie Dave Matthews Band, Blues Traveler, Widespread Panic wären nie so erfolgreich geworden ohne ihre ausgedehnten Touren durch alle Kaschemmen des Landes). Eine deutsche Band, die in diesem Herbst getourt hat, als gäbe es kein Morgen, ist die äußerst sympathische Combo Tele. Mit Songs wie „Wunder in Briefen“, „Falschrum“ und „Rot“ haben sie Ohrwürmer im Gepäck. Und so waren sie nun im Oktober und November auf Tour in good old Germany. Für den musikexpress.de haben sie ein äußerst unterhaltsames Tourtagebuch geführt, in dem sich unter anderem diese Episode findet, die sich in der Dresdener „Scheune“ zugetragen hat:

Wenig später. Ein junger hochgewachsener Kerl mit bordeauxrotem Hemd und einem unsäglich zurechtgestutzten Backenbart erlaubt uns, den „Loungefloor“ der Scheune zu inspizieren, unser Zeug rein zu tragen. Ich kann diesen Typen von der ersten Sekunde an nicht leiden, und vor meinem inneren Auge sehe ich, wie dieser Wichtigtuer dicke Geldbündel mit dem Aufdruck „Kulturförderung“ in die Taschen seiner feinen Stoffhosen gleiten lässt und noch im selben Atemzug „nur das Nötigste“ an Technik für unseren Auftritt organisiert. Als ich ihm in ruhigem Ton die Liste der Mängel herunterbete, antwortet der Typ so süffisant, wie es mir bisher noch nie untergekommen ist: „Wir sollten hier schon aufeinander zugehen, damit das noch ein schöner Abend wird.“

Jede Menge launische Notizen aus dem Tele-Touralltag finden sich hier.

Zu guter Letzt ein paar süffissante Erkenntnisse eines musikalischen Urgesteins: Bob Dylan hat ja unlängst sein autobigraphisches Buch „Chronicles“ veröffentlicht und der US-Rolling Stone hat den Paten aller Songwriter zu genau diesem Werk befragt:

You downplay a chunk of your career in Chronicles. Am I crazy to love Street Legal, Slow Train Coming and Infidels?

Not at all. I can play those songs, but I probably can’t listen to those records. I’ll hear too many faults. I was just being swept along with the current when I was making those records. I don’t think my talent was under control. But there’s probably good stuff on all of them. Shelley said the point was to make unpremeditated art. I don’t think those records fall into that category.

Lyrically, does it get any better than „It’s Alright, Ma“?

It’s hard to live up to that kind of thing. You can’t try to top it — that’s not the point. Lyrically you can’t top it, no. I still can play that song, and I know what it can do. That song was written with a hunger that can break down stone walls. That was the motivation.

Das ganze „Question & Answers“ mit Bob Dylan gibts hier.

Schönen zweiten Advent allerseits!

NP: Howie Day – Extras (2004)

Eine EP von Howie Day, erschienen in der ersten Jahreshälfte 2004. Eine aufschlußreiche Momentaufnahme, diese 4-Track-CD. Zum ersten Mal war Howie 2003/2004 mit einer „richtigen Band“ auf Tour, um sein Album „Stop All The World Now“ live vorzustellen. Nicht nur für den Künstler, sondern auch für die Fans eine Umstellung, lieben sie „ihren“ Howie doch besonders für seine oft beschriebenen Solo-Live-Qualitäten: ein Mikro, eine Gitarre und ein Sampler – und schon baut sich Herr Day sein eigenes Orchester, klingt kathedraler als manche 5-Mann-Band und verzaubert das Publikum.

Das hier, das ist aber Howie mit Band. Und allen Befürchtungen zum Trotz: der junge Bostoner Songwriter macht eine wirklich gute Figur. Singt sich mal wieder die Seele aus dem Leib, und die absolut professionelle Band unterstützt ihn nach allen Regeln der Kunst. Und so bekommen Howie-Fans mit dieser EP tolle Liveversionen von „Numbness For Sound“, „Collide“ und „End Of Our Days“ (mit Howie am Piano). Das Sahnehäubchen ist aber Track 4, ein bislang unveröffentlichter Outtake von den „Stop All The World Now“-Sessions: schleierhaft, warum „Standing In The Sun“ nicht auf dem regulären Album zu finden ist, am Song jedenfalls kanns nicht liegen.

Wie gerne würd ich jetzt herausposaunen: Los, husch, husch, kaufen! Blöd nur, dass die CD nur in US-Independent-Plattenläden zu bekommen ist, noch nicht mal über Howies Online-Shop. Kleiner Tipp: bei ebay werden die „Extras“ immer mal wieder angeboten, da lässt sich was machen. Und wems „nur“ auf „Standing in the sun“ ankommt – der Song ist inzwischen (mit einem weiteren Outtake und zwei Akustik-Solo-Performances) auf der neuen Limited Edition von „Stop All The World Now“ zu haben und die gibts gelegentlich bei Amazon.

So, lieber Howie – nach der EP und der inzwischen zweiten Special Edition des Albums wärs doch mal wieder Zeit für eine „richtige“ neue Veröffentlichung – wie wärs mit einem „ganzen“ Livealbum? Ob mit Band oder ohne, fragst Du? Ach, ich mag beides, entscheide Du.

Mehr über Howie Day im dunkelblau Weblog gibts hier.

Todd Thibaud & Band live im Objekt 5, Halle (2. Dezember 2004)

Eines von diesen Konzerten, dass man so schnell nicht vergißt. Nicht, weil es übermäßig spektakulär war, oder grottenschlecht. Sondern weil es schlicht und einfach herzlich und schön war im niedlichen „Objekt 5„.

Todd Thibaud und seine grandiose Band sind seit wenigen Tagen in Deutschland, der Gig in Halle war das zweite Konzert der aktuellen Tour mit insgesamt 17 Terminen. Also, das gleich zu Beginn, noch genügend Gelegenheit, um Augen- und Ohrenzeuge zu werden und dabeigewesen zu sein. Todd Thibaud macht seit vier Soloalben äußerst unkomplizierten, klaren Songwriter-Alternative Country-Rock. Derzeit betourt er seine lang ersehnte neue CD „Northern Skies“, aber natürlich gibts in der Liveshow auch jede Menge „altes“ Material zu hören.

Und das in einem wirklich atemberaubend guten Livesound, jeder einzelne der fünf Herren auf der Bühne war bestens zu vernehmen. Zwei Gitarren, eine E-Mandoline, einen Bass und ein Schlagzeug – mehr brauchts fast nicht, um das Publikum zu entzücken. Ja, doch, natürlich: Todds bemerkenswerten Gesang darf man keinesfalls vergessen. Sichtlich erfreut übers begeisterte Publikum gab der eher wie ein all american Familienpapa und weniger wie ein „Rockstar“ wirkende Bostoner Song um Song zum besten. Erstaunlich, wie viele schöne Melodien ein einziger Mensch schreiben kann.

Durchkonzipierten Artrock, hippe Performances oder cooles Waswolltihreigentlichgehabe braucht man nicht zu fürchten, wenn es um eine Thibaud-Show geht. Zum Glück – denn so erlebt man bodenständige, (Achtung, viel strapaziertes, hier aber treffendes Wort!) ehrliche und sympathische Musiker, denen es um die Musik geht. Um den Moment.

Und wenn man nach der Show noch die Gelegenheit hat, mit den Herren, die einen bis gerade eben noch von der Bühne herab begeisterten, zu plaudern und anzustoßen, dann macht das a) einen gelungenen Abend so richtig perfekt und b) den fiesen Hangover am nächsten Tag irgendwie halb so schlimm.

Hingehen!

Mehr über Todd Thibaud im dunkelblau Weblog gibts hier.
Foto gemopst von Todds offizieller Seite.

Irre: Blues Traveler live in Deutschland – noch im Dezember!!

Jaaa, das ist mal eine Schlagzeile, was? Eine, nach der man sich schon seit Jahren sehnt, oder? Der dem Boulevard nicht gänzlich abgeneigte Journalist in mir verweist gerne auf die Richtigkeit des oben Geschriebenen. Ja, die amerikanische Band Blues Traveler ist im Dezember 2004 für zwei Konzerte in Deutschland.

Der Musikliebhaber und Blues Traveler-Fan in mir muss dem oben Geschriebenen dann aber doch noch die ganze Wahrheit hinzufügen: sofern ich nicht in den nächsten Tagen auf wundersame Weise in eine US-amerikanische Familie einheirate, in der wenigstens ein Familienmitglied bei den US Air Forces in Europe dient, werd ich wohl keine Chance haben, einen dieser Auftritte zu erleben.

Denn die Blues Traveler haben sich nicht etwa ihnen würdige Locations in so schönen Orten wie Hamburg, München, Berlin, Leipzig oder von mir aus auch Frankfurt/M. ausgesucht. Neeeein, die Herren um John Popper machen im Rahmen einer Aktion mit dem putzigen Namen „Operation Season’s Greetings“ Station an Standorten, die in Deutschland bislang weniger für ihre pulsierende Livemusikszene denn für den auffallend hohen Anteil an US-Bürgern bekannt sind. Die Band spielt in – den US-Air Bases in Ramstein und Spangdahlem.

Dates are from December 5th to the 16th, according to the press release.

Lajes Field, Lajes, Terceira Island, Azores
Incirlik Air Base, Incirlik, Turkey
Ramstein AB, Ramstein, Germany
Spangdahlem AB, Spangdahlem, Germany
Royal Air Force Menwith Hill, England
Royal Air Force Mildenhall, England
Keflavik Naval Air Station, Keflavik, Iceland. (via blackcat List)

Und warum? Na, „to provide holiday cheer to American troops and their families“!!!

?This is going to be a great show for our Airmen and their families,? said Gen. Robert H. ?Doc? Foglesong, commander of U.S. Air Forces in Europe at Ramstein AB. ?These band tours are a great morale booster for our people. It?s great to be able to give them a taste of home, especially at this time of year.?

Bisher wußte ich nicht mal, dass es in Deutschland ein Nest namens Spangdahlem gibt. Und jetzt spielen Blues Traveler dort, und ich darf da noch nicht mal rein. Ganz tolle Sache. Dabei ist das Rahmenprogramm der „Operation Season’s Greetings“ doch auch sehenswert, ich zitier nochmal aus der offiziellen Pressemitteilung der US Air Forces in Europe:

Performing as the opening act for Blues Traveler, the Band of the U.S. Air Force Reserve and the U.S. Air Forces in Europe Band will play well-known rock-and-roll, rap and contemporary favorites. To help warm up the crowd, the 2003 world champion New England Patriots are sending four members of their cheerleading squad to accompany the tour.

Hui, ne Army-Combo und Cheerleader als Vorprogramm für John Popper und Co. How bizarre.

So kommt er denn, mein verzweifelter Hilferuf: Are you a member of a US-Familie with a Soldat who serves in fucking Sprangdalem, Germany? You want to marry a German Blues Traveler fan? Immediately? Yes? Toll, äh great. So drop me a line: Verzweifelterbluestravelerfanderdieshowssehenwill@dunkelblau-weblog.de. Thanks vielmals.

Mehr zur Operation Season’s Greetings gibts übrigens hier.
Poster-Scan gefunden auf wolfgangsvault.com.

Ach ja, eins noch: das ist übrigens mein 100. Weblogeintrag. Wow, so schnell kann’s gehen…

Gib mir Musik: The Wired CD

Musik runterladen! Gratis! Legal! Das US-Magazin Wired machts möglich – die Zeitschrift hat in diesen Tagen den ersten Longplayer mit einer Creative Commons-Licence veröffentlicht.

Das heißt: das Kopieren, Weitergeben, Runterladen, Verändern der 16 Tracks ist nicht nur gestattet, sondern sogar gern gesehen (nur eben unter bestimmten Bedingungen). Und siehe da: einige durchaus große Namen finden sich im Tracklisting:

The Wired CD
:01 Beastie Boys/ Now Get Busy
:02 David Byrne/ My Fair Lady
:03 Zap Mama/ Wadidyusay?
:04 My Morning Jacket/ One Big Holiday
:05 Spoon/ Revenge!
:06 Gilberto Gil/ Oslodum
:07 Dan the Automator/ Relaxation Spa Treatment
:08 Thievery Corporation/ DC 3000
:09 Le Tigre/ Fake French
:10 Paul Westerberg/ Looking Up in Heaven
:11 Chuck D with Fine Arts Militia/ No Meaning No
:12 The Rapture/ Sister Saviour (Blackstrobe Remix)
:13 Cornelius/ Wataridori 2
:14 Danger Mouse & Jemini/ What U Sittin‘ On? (starring Cee Lo and Tha Alkaholiks)
:15 DJ Dolores/ Oslodum 2004
:16 Matmos/ Action at a Distance

Alle diese Songs gibts also als legale mp3-Downloads, und zwar hier. Absolut lesenswert ist übrigens auch der begleitende Artikel zum CD-Projekt auf der gleichen Seite.

via nicorola.

NP: Ben Harper – So High So Low EP (2003)

Dieser Eintrag ist der netten Frau H. vom Zollamt in Taucha, Sachsen gewidmet. Ihr ist es zu verdanken, dass diese Japan-only-CD nach langen Wochen des Wartens dann doch noch den Weg in meinen heimischen CD-Player gefunden hat. Mit Importen aus Ländern wie, sagen wir mal, den USA oder Japan, ist es ja so: wenn Du Glück hast, pennt der Zoll, und Du kriegst binnen einer Woche die von Dir bestellten Sachen. Wenn Du mittelschweres Pech hast (das kommt am häufigsten vor), dann erkennen die findigen Menschen vom Zoll, dass da „Drittlandsware“ drin ist, und knallen Dir etwa ein Drittel des Kaufpreises nochmal als Zollgebühr drauf. Und wenn Du riesengroßes Pech hat (und das hatte ich im Falle dieser Ben Harper-EP), dann bekommst Du Post vom Zoll, eine „Benachrichtigung über den Eingang einer Sendung mit Drittlandsware“.

Mit diesem Schreiben fordern die Zollmenschen einen dann auf, doch bitte eine Rechnung über die zur Debatte stehenden Güter zu liefern. Blöd halt nur, wenn die Rechnung IM Paket drin ist, und Du selbst noch keine hast. Widrigkeiten der Zivilisation wie „Postgeheimnis“, „Ersatz-Zollinhaltserklärungen“, „Postverzollung“ und „Tagesstempel des Verzollungspostamts“ taten ihr übriges, um die Einfuhr von 27 Minuten Musik zu einer reichlich komplexen Angelegenheit werden zu lassen. Nachdem ich mich seelisch und moralisch auf einen Nervenkrieg mit dem Hauptzollamt eingestellt hatte, griff ich zum Hörer, um einfach mal nachzufragen. Dumm stellen und dabei freundlich sein führt ja desöfteren zum Erfolg.

Und siehe da: gefaßt auf das allerschlimmste, also auf lethargische, latent frustrierte und grundsätzlich die Vokabel Kooperation aus dem Wortschatz gestrichen habende Beamte, erlebte ich eine angenehme Überraschung. Frau H. sollte in mein Leben treten und sich ob ihrer netten Art einen Platz in meinem Weblog und in meinem Herzen ergattern. Ausgerechnet von einer Mitarbeiterin eines Hauptzollamtes Sätze wie „Ach, das kriegen wir hin!“ oder „Da helf ich Ihnen glatt“ zu hören, macht mächtig viel Eindruck und kann für ein paar Augenblicke Dein Weltbild erschüttern.

Auch wenn mir bis heute mehr oder minder schleierhaft ist, welches Problem genau das Hauptzollamt Leipzig mit dieser Ben Harper-Platte hatte, ist dies eine Geschichte mit einem Happy End, das das Innere eines Plattensammlers rührt wie der Schluß von „Titanic“ das eines weiblichen Kinobesuchers. An das Gute in der gemeinen Hauptzollamtsmitarbeiterin glaubend lausche ich packenden Liveversionen von „She’s Only Happy In The Sun“ und „When She Believes“, inbrünstigen Acoustic-Outtakes wie „Amen Omen“ und respektvollen Covern wie „Strawberry Fields Forever“.

Ich danke Ben Harper für seine Musik. Ich danke der japanischen Plattenindustrie für diese Veröffentlichung. Aber das Wort „Dank“ genügt nicht, um auszudrücken, was ich für Frau H. empfinde. Amen Omen!

NP: Dave Matthews Band live – Worcester, MA December 8, 1998 (2004)


Sie zu zählen ist inzwischen wirklich schwer – die Dave Matthews Band hat inzwischen derart viele Livealben rausgebracht, dass man schon etwas den Überblick verlieren kann. Da war vor vielen, vielen Jahren „Live At Red Rocks“, das erste reguläre Konzertalbum. Seitdem gab es etliche weitere Releases, einige brilliant und zeitlos (die Central Park-Show, Folsom Field), und die anderen mindestens unterhaltsam und gut (die 6-CD-Gorge-Megapackung, Listener Supported). Klar, da hat jeder seine eigenen Favoriten und auch Shows, die er nicht so gelungen fand.

Jetzt starten DMB mit einer neuen Live-Serie durch: „Live Trax“ nennt sich die Reihe offizieller Veröffentlichungen, die allerdings nur über die Webseite der Band als digitaler Download oder – zum Glück – als „richtige“ CDs angeboten werden. Volume One ist jetzt erschienen, und wahrlich, die Wahl der Show war absolut korrekt. Das, was Dave und seine Kollegen am 8. Dezember 1998 in Worcester vom Stapel gelassen haben, kann ohne mit der Wimper zu zucken zu den besten offiziell auf CD gebannten Performances der Band gezählt werden. Illustre Gäste sind dabei, die Setlist ist ungewöhnlich, und die Spielfreude und Vielfalt einfach bemerkenswert:
Weiterlesen „NP: Dave Matthews Band live – Worcester, MA December 8, 1998 (2004)“

"Lad Dir den bekloppten Frosch auf Dein Handy!"…

Demnächst auf dem Musiksender Ihrer Wahl: bekloppte Frösche, debil dreinschauende Ratten, fette Nilpferde und garantiert unwitzige Fun-Klingeltöne, Orgasmen auf Sächsisch und so. Und das – nahezu Nonstop! Das klingt vielleicht für pubertierende Handyafficionados mächtig verlockend, für den Rest der Welt ist es eher eine Horrorvorstellung.

Ab 2005 könnte das aber bittere Realität werden: Die Fusion von MTV und Viva ist ja seit ein paar Monaten beschlossene Sache, aber dass der Kahlschlag bei Viva (und letztlich auch bei MTV) derart rasch und radikal kommen würde, überrascht dennoch. Jawoll, keine Musikspezialsendungen mehr auf Viva, die Charlotte Roche-Fangemeinde (zu der ich zwar nicht gehöre, mit der ich mich aber gerne solidarisiere) trauert um „Fast Forward“, die HipHop-Community (auch da guck ich eher von außen drauf, aber was solls) um „Mixery Raw Deluxe“ und der Rest der Welt (das bin dann u.a. ich) um Sarah Kuttners wirklich amüsante Show und um „MTV Spin“ mit Markus Kavka. Denn all diese Sendungen werden wohl das Jahr 2004 nicht überleben – das prophezeien jedenfalls zahlreiche Berichte der letzten 24 Stunden.

Stattdessen: „Big Brother“-Wiederholungen, Klingelton-Charts, noch mehr bekloppte Frösche, tanzende Nilpferde und all der andere Unfug, der schon jetzt das Musik-TV-Gucken zu einer Nervenprobe hat werden lassen.

Ich hab jetzt genau zwei Möglichkeiten: entweder verzichte ich einfach ganz aufs Musikfernsehen und lerne damit zu leben (meine CDs importier‘ ich ja inzwischen auch mehrheitlich aus Übersee, und Radio – hmmm, okay, da bin ich befangen) oder…

…oder ich leg mir endlich ein Handy zu, mit dem ich Rattenwerfen spielen kann, oder Kakerlakenfangen. Eines von diesen Handys, die mir polyphon meine Lieblingstitel vorspielen (gibts nen polyphonen Klingelton von Dave Matthews‘ „I’ll Back You Up“?), oder die mir statt eines Klingelns voll so lustige Sprüche zubrüllen, oder Furze und so. Mit dem ich mir vom supi Love-Orakel sagen lassen kann, ob die Liebe zwischen mir, ich wähle als Künstlername dann Schnurzipups78, und meinem Schwarm, Künstlername Knuddelkatze82, überhaupt Chancen hat. Jaaa. Das wär toll. Denn dann wär ich endlich wieder Zielgruppe für das, was die Macher jetzt unter Musikfernsehen verstehen.

Mein allergrößter Respekt gilt den letzten Aufrechten, die bei Viva und MTV noch mit Herzblut Musikfernsehen gemacht haben. Bitte, gebt nicht auf, klingelt mal beim alten Onyx-Team durch, geht zusammen einen trinken und lasst Euch irgendwas einfallen, damit am 1. Januar 2005 nicht „The Age Of The Bekloppter Frosch“ anbricht.

Gib mir Musik: Marc Broussard Live 2004

Um die eben gepostete Kritik zum Album „Carencro“ von Marc Broussard noch ein wenig mit Beweisen zu untermauern, sei auf die offizielle Homepage des Künstlers hingewiesen. Hier gibts drei Liveversionen von „Carencro“-Songs zum Gratisdownload. (Nicht erschrecken, die Seite ist von der etwas langsameren Sorte. Doch wer sich in Geduld übt, wird reich belohnt werden.)

Promofoto gemopst von Broussards offizieller Seite.