Was macht eigentlich der Erkundungsprozess?

Bischof Koch trifft Kinder im Norden Leipzigs.
Bischof Koch trifft Kinder im Norden Leipzigs

Vor mehr als einem Jahr habe ich im Georgsboten, der Zeitschrift der katholischen Pfarrgemeinde St. Georg in Leipzig, große Töne zum „Erkundungsprozess“ gespuckt, den ich im Leipziger Norden mitmoderieren darf.

Es geht darum, im neu geschaffenen „Verantwortungsbereich Leipzig-Nord“ (diese Begriffe!) Wege zu finden, wie die drei katholischen Pfarrgemeinden und all die anderen kirchlichen Orte auf diesem Territorium künftig die Frohe Botschaft verkünden und im Leben aller Menschen in diesen Stadtteilen gestaltend mitwirken können. Oder einfacher gesagt: wie rüstet sich die Kirche vor Ort für die Zukunft? Bischof Heiner Koch hat diesen Erkundungsprozess Ende 2013 angestoßen und überall in der Diözese ist er ein – mehr oder weniger präsentes – Thema.

Zurück zur Ausgangsfrage: was ist im letzten Jahr hier im Norden der Messestadt passiert? Nun, deutlich mehr, als ich anfangs erwartet habe. Die Pfarrgemeinden reden und planen miteinander, die anderen kirchlichen Orte fühlen sich integriert, ernst genommen und wertgeschätzt. Menschen lernen sich kennen, Gemeinden entdecken ihre Stärken, umarmen ihre Schwächen. Manche Ängste werden abgebaut, viele neue Fragen aufgeworfen. Priester, Festangestellte, Pfarrgemeinderäte, Ehrenamtliche und „ganz normale“ Kirchgänger diskutieren auf Augenhöhe. Hinzu kommt ein Bischof, der zuhört, schlaue Fragen stellt, vor verfrühter und trügerischer Ruhe und Wohlbefinden warnt und uns dennoch motiviert.

Sind wir „am Ende“, haben wir „die Lösung“? Ist die Idee, wo es mit der katholischen Kirche im Norden Leipzigs hingeht, schon konkret und greifbar?

Ach was, noch lange nicht.

Ich mache mir da keine Illusionen: der Weg ist noch lang und gewiss nicht ohne Hürden und Herausforderungen. Der Ton aber, mit dem die engagierten Menschen hier miteinander sprechen und ringen, und das Wohlwollen, das bei den allermeisten Menschen – trotz mancher Vorbehalte und Sorgen – spürbar ist, motivieren mich, diesen Prozess weiter zu begleiten und zu unterstützen.

Konstruktive Unruhe, aber keine ziellose Nabelschau oder eitle Selbstbeweihräucherung: möge Gottes guter Geist auch weiterhin auf all unserem Ringen, Reden und Lernen im Erkundungsprozess liegen.

Links zum Thema:
Infos zum Erkundungsprozess im Bistum Dresden-Meissen.
Der Erkundungsprozess im Norden Leipzigs (von hier stammt auch das oben eingebundene Foto: (c) Gemeinde St. Georg, Leipzig).

Sie nennen’s Religion und landen in der Hölle.

In „They Call That Religion“ des wunderbaren US-Trios The Devil Makes Three kriegen korrupte (pseudo-)religiöse Führer wie Ted Haggard und L. Ron Hubbard ihr Fett weg. Der Song taugt aber ganz generell als hübsche Hymne gegen Bigotterie und Geldmacherei im Namen des Herrn: „They call that religion but you know they’re going to Hell when they die.“

The Devil Makes Three – „They Call That Religion“ (Youtube)

Nur über Strukturen reden und die Gleichen bleiben?

Georgsbote Logo

    Im Bistum Dresden-Meißen läuft gerade ein pastoraler Erkundungsprozess an. Die Fragestellung: wie kann, sollte, muss sie aussehen, die katholische Kirche der Zukunft in Sachsen und Ostthüringen? Die Gemeinden des Leipziger Nordens haben mich gebeten, diesen Prozess als Moderator zu begleiten. So sehr ich vor dieser Aufgabe Respekt habe, so sehr freue ich mich auf die Zusammenarbeit. Gleich zu Beginn wurde ich für den „Georgsboten“, das Gemeindeblatt der Pfarrei St. Georg in Leipzig-Gohlis, zum Erkundungsprozess befragt. Das Interview veröffentliche ich hier mit freundlicher Genehmigung der Redaktion.

Nur über Strukturen reden und die Gleichen bleiben?
Pastoraler Erkundungsprozess im Leipziger Norden

Im Oktober 2013 hat unser Bischof alle Gemeinden, Gemeinschaften und Einrichtungen im Bistum Dresden-Meißen zu einem Erkundungsprozess eingeladen, der über die bisherigen Pfarreigrenzen hinausblicken soll. Die Pfarreien Wahren, Gohlis und Wiederitzsch bilden einen sogenannten „Pastoralen Raum“ bzw. eine „Verantwortungsgemeinschaft“, um gemeinsam die aktuelle Situation und die künftigen Herausforderungen unserer Kirche im Leipziger Norden zu erkunden. Mit dem katholischen Kirchenredakteur Daniel Heinze konnte ein Fachmann gewonnen werden, der den Erkundungsprozess in unserem Pastoralen Raum als Moderator begleiten wird. Ihm hat der „Georgsbote“ ein paar Fragen gestellt.

Die Gemeinden unseres Bistums sind von Bischof Dr. Koch aufgerufen zu einem „Pastoralen Erkundungsprozess“. Was kann man sich darunter vorstellen?
Beim Erkundungsprozess geht es darum, in unseren Gemeinden zu schauen, wo es hingehen soll. Wir gucken dabei nicht nur auf uns selber, sondern auch auf die Nachbargemeinden. Wir schauen, wo wir uns verorten, in welcher Welt wir sind. Und dann ziehen wir die Schlüsse daraus.
Der Begriff soll auch zeigen: Es geht uns nicht um eine reine Strukturdebatte. Da kann ich nur Bischof Koch zitieren: „Wenn wir am Ende nur über Strukturen reden und wir bleiben die Gleichen, dann haben wir alles falsch gemacht.“ Der Titel des Hirtenworts des Bischofs zum Erkundungsprozess lautet: „Berufen zur eucharistischen Kirche“. Wir sollen eucharistische Kirche sein, das Geheimnis unseres Glaubens rausgeben. Das ist ja ganz weit weg von der Frage: Wo ist am Sonntag Gottesdienst?
Natürlich haben die Leute Angst, dass es darum geht, wer den Pfarrer behalten darf und wer nicht. Ich finde es gut, dass schon der Name andeutet: Es geht uns eigentlich um mehr als das. Der Begriff impliziert nämlich auch, dass wir noch lange nicht fertig sind, wir müssen erkunden, wie es weitergeht. Und da hat natürlich der Leipziger Norden eine andere Situation als der Leipziger Süden, als die Provinzstädte.

Wie soll der Erkundungsprozess konkret ablaufen?
Der Bischof redet von drei Schritten. Im ersten Schritt sollen wir fragen: Wer sind wir selber? Was können wir gut? Was machen wir? Der zweite Schritt: Wer ist unsere Umwelt? Mit wem kommunizieren wir über uns hinaus? Das meint also Mitchristen in den Nachbargemeinden genauso wie die vielen Nichtchristen. Und das dritte ist: Was ist zu tun?
Es gab bereits ein Treffen mit den Hauptamtlichen sowie Vertretern der Pfarrgemeinderäte unserer drei Pfarreien. In Wahren und Gohlis gab es dazu Vorgespräche im Pfarrgemeinderat, in Wiederitzsch gab es ein Gemeindeforum dazu. Im Februar sitzen die drei Pfarrgemeinderäte zusammen, im April gibt es einen „Runden Tisch“ mit Vertretern aller kirchlichen Orte. Und dann kommt noch im ersten Halbjahr die Dresdner Abordnung und redet mit uns. Da kommt aber nicht nur der Bischof alleine, sondern mit Pastoralchefin, mit Personalchef, mit Finanzmenschen usw. Am Ende werden dann irgendwann der Bischof und der Generalvikar sagen, so wird sich die Kirche hier aufstellen.

In der Einladung zum Erkundungsprozess schreibt der Bischof, dass es vorerst nicht um strukturelle, personelle, bauliche und finanzielle Konzepte geht – diese werden die Konsequenz sein. Was bedeutet das?
Ich glaube, dass es strukturelle und personelle Veränderungen geben wird, ist etwas, was der Bischof noch nicht mal androhen kann. Das ist Tatsache. Wir werden irgendwann im Bistum die Seelsorger, die Priester, die nicht im Ruhestand sind, an ein paar Händen abzählen können. Das ist eine von mehreren Sachen.
Es ist nicht ziel führend, am Anfang über Strukturen zu reden und zu sagen, es geht nur darum, wie wir es hinkriegen, mit zwei Pfarrern weniger das gleiche machen zu können wie heute. Dann ginge es wirklich nur um Posten und wir haben uns kein bisschen den Leuten geöffnet, die in den Asylbewerberheimen nach Antworten suchen und den vielen Nichtchristen, die auf Kirche überhaupt nicht gut zu sprechen sind. Die personellen Fragen kommen sowieso. Da ist es gut, wenn wir als Bistum gerüstet sind und wissen, wo wir hinmüssen.

Werden wir demnächst zum Gottesdienst nach Wahren fahren müssen?
Gegenfrage: Wäre das so schlimm?
Nein – die Angst muss niemand haben, auch perspektivisch nicht. Gohlis hat natürlich den Vorteil, dass es eine wachsende Gemeinde ist. Wir haben aber auch das große Glück, dass die Dominikaner in Wahren sind und damit hier auch das Bistum entlastet wird. Als jemand, der aus einem strukturärmeren Gebiet kommt, halte ich es schon für Luxus, dass hier nördlich der Georg-Schumann-Straße drei katholische Kirchen sind. Ich finde das gut. Denn die Gemeinden sind auch völlig unterschiedlich geprägt. Jede der Gemeinden hat eine andere Geschichte, eine andere Prägung, auch andere Herausforderungen. Ich finde, wir müssen uns vorerst keine Sorgen um Gottesdienstzeiten machen. Ich glaube, jetzt sind eher solche Fragen dran wie: Wie verhalten wir uns dazu, dass wir in einem absolut säkularen Umfeld sind? Wie stehen wir zu den Fremden, die in unseren Stadtteil kommen und alle lehnen sie ab? Wo ist da die im Evangelium verwurzelte Fremdenfreundlichkeit? Das soll kein Vorwurf sein, aber ich denke, die katholische Kirche im Norden Leipzigs könnte sichtbarer sein. Damit meine ich nicht eine einzelne Gemeinde, damit meine ich mich als Katholik, der im Leipziger Norden lebt. Ich erhoffe mir von dem Erkundungsprozess, dass das auch unser Selbstbewusstsein im missionarischen Sinne aufbaut, dass wir nach außen gehen und sagen: Ja – ich bin Christ, ich bin Katholik, dass wir auch rausgehen und sichtbar werden in der Stadt.

Würden Sie einen Ausblick zu den Ergebnissen des Prozesses wagen? Welche Visionen oder Wünsche haben Sie für die Katholiken im Leipziger Norden?
Ich würde mir wünschen, dass die Idee, mal in Wiederitzsch oder in Wahren in den Gottesdienst zu gehen, nicht völlig absurd erscheint. Ich würde mir wünschen, dass ein Wahrener erkennt, wie schön und prägend die Architektur der Wiederitzscher Kirche ist, dass vielleicht das Kloster in Wahren auch ein Ort ist, der für die Gohliser Gemeinde relevant sein kann, dass der Gemeindesaal in Gohlis auch mal von den Wahrenern mitgenutzt werden kann.
Natürlich kann es sein, dass wir alle einen gemeinsamen Gemeindereferenten haben oder ein gemeinsames Team, was aus drei Priestern besteht, die alle an einem Standort X wohnen und alle drei Standorte bedienen. Das ist alles denkbar. Und ich würde mir wünschen, dass jemand, der sich für Kirche interessiert oder für Glaubensfragen, nicht erst in der Innenstadt die Orientierung suchen muss, sondern in seinem Viertel, in Gohlis oder Eutritzsch, merkt: Stimmt – da ist doch Kirche da. Wenn wir das hinkriegen, sind wir auf dem richtigen Weg. Ganz egal, wie viele Priester wie viele Menschen betreuen müssen oder welches Pfarrhaus wie sanierungsbedürftig ist. Denn diese Probleme wird es weiterhin geben.
Ich wünsche mir auch, dass Ökumene unter den Christen aber auch mit Andersglaubenden und Nichtglaubenden auch im Leipziger Norden funktioniert. Herausforderungen gibt es da viele. Ich nenne nur die Asylbewerberheime und natürlich auch den Moscheebau. Vielleicht schaffen wir das ja. Das ist sicher eine große Vision. Aber wer keine Träume hat ist selber Schuld.

Das Interview führte Hubert Sievert, erschienen ist der Artikel in der Ausgabe 21 (Februar/März 2014) des Georgsboten, die demnächst auch online verfügbar sein wird.

Drei Gründe, warum mir Leipzig heute peinlich ist.

Erstens: „Anschlag mit Schweineköpfen“ (taz.de)

Der Protest eskaliert. Unbekannte haben einen Anschlag auf das Gelände verübt, auf der die Moschee gebaut werden soll. Sie spießten Schweineköpfe auf Holzpflöcke.

Zweitens: „Das Grauen“ (lipsa.wordpress.com)

Wenige Tage nachdem die Lokalmedien von zwei geplanten Flüchtlingsheimen in Thekla und Paunsdorf berichteten, hat sich Leipzig auch schon zur Gegenwehr gerüstet – eine solche Bedrohungslage konstruiert zumindest eine von mehr als 2.000 Personen unterstützte Facebook-Seite.

Drittens: „Zum Anbeten: Der beste Bauzaun in Leipzig“ (weltnest.de)

„Richtig fresh fände ich es, wenn flamat auch noch den Altar designen dürfte. Die fade Fassade der Kirche könnte er ja gleich mit verzieren.

Für das, was da gestern Abend in Gohlis passiert ist, fehlen mir die Worte.

Die Facebook-Kommentare zum geplanten Flüchtlingsheim in Paunsdorf machen mir Angst.

Dass man einen Bauzaun um einen Kirchneubau nicht einfach mal nur schön finden kann, sondern das unbedingt mit allen Kirchen-Klischees und -Witzchen garnieren muss, die einem grade so einfallen, zeugt aber auch nicht gerade von Weltoffenheit.

Mir war es bisher noch nie peinlich, in Leipzig zu leben. Heute ist ein Tag, an dem ich mich fast dafür schäme.

Gott – wissenschaftlich bewiesen??

Eine bemerkenswerte Nachricht geisterte im Sommer durch die Zeitungen: Wissenschaftler haben es geschafft zu beweisen, dass es Gott gibt! Sicher habe ich das jetzt sehr vereinfacht und zugespitzt formuliert, aber es trifft den Kern. Die Forscher haben eine Theorie des Wissenschaftlers Kurt Gödel unter die Lupe genommen. Gödel, ein großer Mathematiker und Logiker, hatte eine hoch komplizierte Argumentation entwickelt, der zu Folge die Existenz Gottes logisch und eindeutig sein muss. Genau diese Argumentation konnten die Forscher nun mit Hilfe eines Computerprogrammes nachvollziehen und bestätigen.

Tja, und nun?

Jubeln jetzt all die Gläubigen auf der Erde und sagen zu den Ungläubigen: ätschbätsch, wir haben Euch ja schon immer gesagt, dass es Gott gibt? Grämen sich jetzt all die Atheisten, die bislang felsenfest davon überzeugt waren, dass die Idee von einem Gott Unfug sein muss? Ich weiß nicht so recht, was ich mit dieser Nachricht vom bewiesenen Gottesbeweis anfangen soll.

Als Christ glaube ich an die Existenz Gottes. „Ich glaube“ bedeutet aber auch, dass ich das nicht rational und sachlich „wissen“ kann. Doch an ihn zu glauben erscheint mir vernünftig: ich habe schon oft in meinem Leben gespürt, dass er bei mir ist, dass ich mich an ihn wenden kann – ganz ohne wissenschaftliche Beweise. Andererseits werden doch jetzt auch nicht massenweise Atheisten in die Kirchen rennen, sich taufen lassen und plötzlich brav zu Gott beten.

Vielleicht kann man sich ja so einen Reim auf die Sache mit dem Gottesbeweis machen: wir Menschen sind einfach so. Wollen ständig verstehen, hinterfragen, nach Sinn, nach Gott suchen. Wir suchen nach ihm in unserem Alltag, bei unseren Mitmenschen, in der Natur, der Literatur, in Philosophie und Theologie – und manche eben sogar in Naturwissenschaft und mathematischen Gedankenexperimenten. Warum denn auch nicht?

Und trotzdem: wenn ich Gott wirklich in meinem Leben spüren und wahrnehmen möchte, bleibt mir auch künftig nichts anderes übrig, als an ihn zu glauben. Ich darf auch weiterhin fest darauf vertrauen, dass Gott viel größer, mächtiger und stärker ist als jede schlaue Formel.

Hinweis:
Diesen Text habe ich für das Ressort “Gesellschaft und Religion” der Leipziger Volkszeitung geschrieben, in der er am 4. Oktober 2013 in der Kolumnen-Reihe “Gedanken zum Wochenende” erschienen ist.

Die Generation „Man müsste mal“

Klimawandel? Ja, schon mal gehört. Müsste man mal was dagegen machen.
Hunger in der Dritten Welt? Ja, da müsste man mal wieder was spenden.
Wieder Essen aus dem Kühlschrank direkt in den Müll geworfen? Ja, müsste man endlich mal anders einkaufen.

Wir sind die “Generation Man müsste mal”, klagt die Münchener Autorin und Aktivistin Claudia Langer und sagt in ihrem gleichnamigen neuen Buch klipp und klar: so kann, so darf es nicht weiter gehen! Ihr Buch ist eine Streitschrift, eine offene Anklage einer ganzen Generation.

Eine Generation, für die es normal ist, in den Urlaub zu fliegen, statt mit Auto oder Bahn zu verreisen. Eine Generation, die weiß, dass in Afrika Tag für Tag tausende Kinder verhungern, während das reiche Deutschland im Überfluss lebt und Lebensmittel einfach wegschmeißt. „Wenn wir so weiter machen, hinterlassen wir unseren Kindern eine völlig kaputte Welt“, warnt die Autorin.

Na, ist Ihnen inzwischen gründlich die Lust vergangen, weiter zu lesen? So viel Negativität hält ja keiner aus. Wo doch an dieser Stelle eigentlich immer Erbauliches, Mut machendes stehen sollte! Da vergeht einem ja die gute Laune!

Genau das will Claudia Langer aber erreichen: dass wir uns gestört fühlen bei unserem täglichen Wegschauen. Es reicht eben nicht, den Müll zu trennen, Bio-Gemüse zu kaufen, mit einer kleinen Spende vor Weihnachten das Gewissen zu beruhigen und zu hoffen, damit wäre alles in Butter. Ohne echtes Umdenken und Verzicht wird sich nichts zum Guten ändern.

Um dann doch noch etwas Positives zu schreiben: dieser Verzicht kann auch Gewinn bedeuten! Mehr Lebensqualität und Zeit für die Familie, wenn ich zum Beispiel konsequent auf Dienstreisen verzichte, die nicht unbedingt sein müssen. Auch lebe ich automatisch gesünder, wenn ich nicht jeden Tag auf Fleisch zum Mittag bestehe.

Das sind kleine, aber wichtige Schritte. Schritte, die nicht „die anderen“ zuerst gehen müssen, sondern ich selbst. Es ist ganz konkret meine Aufgabe. Als Mensch, Christ, Nachbar. Als Leipziger, Deutscher, Europäer. Ich sollte mich anrühren lassen von dieser Anklage und statt „Man müsste mal…“ endlich sagen: „Ja, ich werde alles daran setzen, diese Welt besser zu machen – auch, wenn’s mühsam wird!“

Hinweis:
Diesen Text habe ich für das Ressort “Gesellschaft und Religion” der Leipziger Volkszeitung geschrieben, in der er am 12. Oktober in der Kolumnen-Reihe “Gedanken zum Wochenende” erschienen ist.

Ab in den Knast, und gut?

Jugendliche und Politiker diskutieren bei „PolitX“ im Roncalli-Haus in Magdeburg über das Thema Strafvollzug

“Hin und wieder legen da richtig schwere Jungs, die für richtig schlimme Vergehen im Knast sitzen, ganze Lebensbeichten ab. Das ist spannend: auch Mörder oder Betrüger sind Menschen.” Rund neunzig Schüler aus Magdeburg und Schönebeck hörten gebannt zu, als Gefängnisseelsorger Pfarrer Christoph Kunz über seine Arbeit in den Justizvollzugsanstalten in Magdeburg und Burg berichtete.

Kunz war einer von vier Experten, die den jungen Menschen Ende September im Roncalli-Haus in Magdeburg das Thema Strafvollzug in Sachsen-Anhalt näher bringen wollten. Tatsächlich waren die Gymnasiasten beeindruckt: vom Seelsorger, aber auch von der Mitarbeiterin im Verband für Straffälligenhilfe, der Direktorin des Schönebecker Amtsgerichtes oder der Psychologin des Justizministeriums, die sich um die Haftbedingungen kümmert.

“Täter, Urteil, Knast und gut – Wie sinnvoll ist der Strafvollzug?” So ist die zweite Staffel des Projektes “PolitX” überschrieben. In der von Katholischem Büro Magdeburg und Roncalli-Haus gemeinsam initiierten Reihe sollen Schüler mit aktiven Landespolitikern in Kontakt kommen und so erleben, wie politische Meinungs- und Willensbildung und demokratische Strukturen funktionieren. “Da Anfang 2013 das Strafvollzugsgesetz im Land novelliert werden soll, lag das Thema für PolitX quasi auf der Hand”, erklärt Stephan Rether, Leiter des Katholischen Büros.

Politiker aller im Landtag vertretenen Parteien lassen sich auf das Experiment ein. Bei der Auftaktveranstaltung im Roncalli-Haus lernten die Schüler die Polit-Promis erstmals kennen. “Um die ganze Sache spannend zu machen, gehen die Politiker jetzt als gemischte Tandems in die Schulklassen. Also zum Beispiel eine Vertreterin der ‘Linken’ gemeinsam mit einem CDU-Abgeordneten”, erklärt Guido Erbrich, Leiter des Roncalli-Hauses in Magdeburg. “So lernen die Schüler auch, dass man trotz unterschiedlicher politischer Standpunkte gut miteinander arbeiten kann und muss.”

Dass das Thema Strafvollzug ein Volltreffer bei den jungen Leuten ist, wurde bei der Auftaktveranstaltung schnell deutlich: in kleinen Runden hatten die Jungen und Mädchen gleich etliche Fragen an die Experten und Politiker. Stephan Rether: “Das war aber erst der Anfang. Jetzt werden die Politiker in die Schulklassen kommen, aber auch die Schüler in den Landtag, um mal eine Sitzung mitzuerleben. Einige Schüler werden sicherlich auch mal ein Gefängnis besuchen, um den anderen von den Haftbedingungen berichten zu können. Begriffe wie Menschenwürde und Achtung sollen ganz konkret erlebbar werden.”

Bis Ende Januar sollen Klassen und Tandems das Thema Strafvollzug miteinander erörtern und diskutieren. Dann treffen sich Schüler, Politiker und Experten wieder im Roncalli-Haus und tauschen sich über das Erlebte und Gesehene aus. “Im besten Fall können sich die Schüler dann ihre eigene Meinung zum Thema Strafvollzug und den harten Job des Politikers bilden, und die Politiker verstehen besser, was Jugendlichen bei Politikern und Justiz wichtig ist – dann hätten wir genau das erreicht, was wir mit PolitX im Sinn hatten”, so Guido Erbrich.

Hinweis:
Dieser Text von mir ist am 7. Oktober in der katholischen Wochenzeitung „Tag des Herrn“ sowie auf der Internetseite des Bistums Magdeburg erschienen. Ich bin bei PolitX in Sachen Konzeption und Moderation beteiligt.

„Hilf, Herr meines Lebens“

Im Rahmen der Reihe „Musik und Besinnung“ durfte ich am 5. September erneut in der Leipziger Nikolaikirche in einer kurzen Laienpredigt über ein Kirchenlied, das Christen vieler Konfessionen regelmäßig singen, ein paar Gedanken äußern. Diesmal ging es um „Hilf, Herr meines Lebens“, im Folgenden das Manuskript des kleines Vortrages.

In diesem Kirchenjahr nehmen wir uns hier bei „Musik und Besinnung“ die Kirchenlieder vor, die wir Woche für Woche in den Gottesdiensten singen. Die zu unserem Leben einfach so dazugehören. Und die uns treue Begleiter im Leben sind. Heute betrachten wir ein vergleichsweise modernes Stück – wenn man jetzt mal die Kirchenlieder-Superhits von Leuten wie Paul Gerhardt als „Klassiker“ nimmt. Das Lied heißt „Hilf, Herr Meines Lebens“. Geschrieben hat es der evangelische Pfarrer und Kirchenliederdichter Gustav Lohmann, geboren 1876 in Witten in Nordrhein-Westfalen. Gestorben ist dieser Pfarrer Lohmann 1967 im Stolberg im Rheinland.

„Hilf Herr Meines Lebens“ ist ohne Frage sein bekanntestes Lied. Er schrieb es im hohen Alter, es war das Jahr 1962. Der Vollständigkeit halber sei gesagt: von Lohmann stammen die Strophen 1, 2, 4 und 5 – die dritte Strophe stammt von Markus Jenny. Längst hat sich das Lied zu einem ökumenischen „Hit“ entwickelt. Sie finden es natürlich im Evangelischen Gesangbuch, es ist die Nummer 419. Aber auch im katholischen „Gotteslob“ hat es seinen festen Platz: als Nummer 622. Selbst im Mennonitischen Gesanbuch finden Sie Lohmanns Verse, Lied Nummer 102. Was ist es, was uns so berührt an diesem Stück? Am besten, wir nähern uns dieser Frage, in dem wir uns Strophe für Strophe anschauen und kurz darüber nachdenken. Falls Sie also mitlesen möchten: im Gesangbuch ist das die Nummer 419.

Hilf, Herr meines Lebens,
dass ich nicht vergebens,
dass ich nicht vergebens hier auf Erden bin.

Einfache, klare Worte – und eine Grundangst, die wohl jeder Mensch so oder so ähnlich kennt. Es ist nicht mehr oder nicht weniger als die Frage nach dem Sinn des Lebens. Wozu bin ich hier auf der Erde? Was hat das alles für einen Sinn? Warum lebe ich? Fälle Entscheidungen? Lerne? Wachse? Gründe eine Familie?

Weiterlesen „„Hilf, Herr meines Lebens““

Wunder gibt es immer wieder?

Im Rahmen des RADIO PSR-Kirchenmagazins „Themen, die Sachsen bewegen“ haben wir uns vor ein paar Wochen mal wieder an eine Schwerpunktsendung getraut. Pünktlich zum Pfingstsonntag ging es bei uns in vier auf zwei Stunden verteilten Beiträgen um das Thema Wunder.

Was bezeichnen die Menschen in Sachsen als „Wunder“? Wie sind die Wundergeschichten in der Bibel zu verstehen? Kann ich in einer aufgeklärten Welt an Wunder glauben? Diese und weitere Fragen haben wir mit dem Leipziger Religionspädagogen Uwe Hahn und vielen netten Antwortgebern aus der Leipziger Innenstadt erörtert – und haben dabei natürlich auch das Pfingstfest nicht ausgespart, an dem Christen ja auch ein Wunder feiern. Wer mag, kann hier gerne mal reinhören in unsere Wunder-Sendung:

RADIO PSR – Themen, die Sachsen bewegen Spezial zu Pfingsten:
Wunder gibt es immer wieder? (2012-05-27, 18-20 Uhr)

„Ich steh‘ vor Dir mit leeren Händen, Herr“: Huub Oosterhuis.

Vor zwei Wochen sollte ich in der Leipziger Nikolaikirche das Kirchenlied „Ich steh vor Dir mit leeren Händen, Herr“ von Huub Oosterhuis und Lothar Zenetti (deutsche Übertragung) vorstellen. Im Rahmen der Reihe „Musik und Besinnung“ hielt ich zu diesem mir enorm ans Herz gewachsenen Lied als katholischer Gast in der evangelischen Nikolaikirchgemeinde eine Art Laienpredigt. Zu diesem Zeitpunkt wusste ich noch nicht, welche Kontroversen es derzeit in der katholischen Kirche um dieses Stück Musik und seinen Urheber gibt.

Das Lied (und weitere Texte von Oosterhuis) sollen im neuen „Gotteslob“, dem für 2013 geplanten neuen katholischen Gesangbuch, nicht mehr enthalten sein, weil der niederländische Dichter und Theologe in konservativen katholischen Kreisen in Ungnade gefallen ist: der ehemalige Priester und Jesuit ist seit über 30 Jahren verheiratet.

Ein „Gotteslob“ ohne „Ich steh vor Dir mit leeren Händen, Herr“? Eine traurige Vorstellung. Und wenn es stimmt, dass bestimmte Instanzen der Amtskirche Oosterhuis aufgrund seines Privatlebens aus dem überarbeiteten Gesangbuch kicken wollen, dann empfinde ich das als Skandal und Bevormundung der singenden, betenden Gemeinden im ganzen Land.

Wen das Thema „Oosterhuis und das neue Gotteslob“ genauer interessiert, der findet bei musikundtheologie.de jede Menge Hintergründe und Links (und freilich auch einige recht polemische Kommentare, die meines Erachtens aber nur unterstreichen, wie emotional die ganze Geschichte im ‚Kirchenvolk‘ diskutiert wird – und welch Frust entsteht, wenn derartige Entscheidungen in nicht transparenten Gremien und unter Ausschluss der Öffentlichkeit besprochen werden).

Vielleicht war es ja ganz gut, dass ich von der Debatte um Oosterhuis erst nach meiner kleinen Ansprache erfahren habe – so konnte ich mich voll und ganz dem Inhalt des Liedes widmen, ohne jeden Frust und ohne der Versuchung zu erliegen, im falschen Rahmen tagesaktuelle kirchenpolitische Dinge zu thematisieren. Im Folgenden dokumentiere ich nun meine am 7. März in der Nikolaikirche vorgetragenen Gedanken zu besagtem Lied.

Weiterlesen „„Ich steh‘ vor Dir mit leeren Händen, Herr“: Huub Oosterhuis.“