Mein 2023: Ein Fazit.

Well, let them take you for a clown
And they’re bound to bring you down
You got to make it through the world if you can
Well you think they’re doing you wrong,
but you got here on your own
You got to make it through the world if you can


A Period Of Transition nannte der irische Musiker Van Morrison sein siebentes Studioalbum. Es erschien 1977 und fiel bei Fans und Kritikern zunächst durch. Van The Man biedere sich ein wenig zu doll dem Zeitgeist an, moserten die einen. Dem gehen langsam die Ideen aus, maulten die anderen. Er selbst sah die Platte als das, was ihr Titel versprach: eine Momentaufnahme, einen eher flüchtigen Schnappschuss. Knapp fünfzig Jahre später konstatieren Kritik und Fangemeinde: A Period Of Transition ist erstaunlich gut gealtert und hat den Weg geebnet für wenig später folgende Morrison-Großtaten wie Wavelenght und vor allem Into The Music.

Was das alles mit meinem 2023 zu tun hat? Nun, für mich fühlt sich das Jahr, das jetzt Ende geht, wie A Period Of Transition an. Einmal im Wortsinne, weil gerade so viel in Bewegung ist und ich die Welt um mich herum und mich in ihr drin wie in einer Art Dauerveränderungsphase wahrnehme. Gar nicht das schlechteste Gefühl, übrigens; besser, als es sich auf vermeintlichen Gewissheiten und Sicherheiten allzu zu bequem zu machen.

Aber auch mit Blick auf A Period Of Transition, das Musikalbum, sehe ich Parallelen zu 2023. Bescheinigt doch die kritisierende und interpretierende Zunft diesem Jahr, dass es maximal ein mittelmäßiges, eher ein mieses war. Mit Blick auf Kriege und globale Krisen kann man da nur schwer dagegenhalten. Ich wünsche mir dennoch, dass wir mit etwas Abstand (und wenn’s fünfzig Jahre braucht) auch die guten Momente dieses Jahres werden wertschätzen können – denn die gab es eben auch, und nicht zu knapp.

2023 als eine Phase des Übergangs. Keine Ahnung, ob diese Phase 2024 andauern wird oder enden und in etwas Neues, Unerwartetes münden. Optimist, der ich bin und bleibe, freue ich mich auf das, was kommt und lege das alte Jahr erstmal zu den Akten – mit einem gewissen Kopfkratzen, ja. Aber eben auch mit einem Lächeln.

Hier noch einmal meine Lieblings-Listen 2023 im Überblick:
Lieblingsalben 2023
Lieblingskonzerte 2023
Lieblingslieder 2023

Danke, werte Besucher*innen, für’s Mitlesen, Dabeisein, Begleiten und Beobachten im Jahr 2023 – ich freue mich auf 2024 und viele neue Lieder, Bücher, Reisen, Eindrücke, Momente und Blogeinträge.

Ältere Jahresrückblicke:
2022 (Fazit, Alben, Konzerte, Lieder)
2021 (Fazit, Alben, Konzerte, Lieder)
2020 (Fazit, Alben, Konzerte, Lieder)
2019 (Fazit, Alben, Konzerte, Lieder)
2018 (FazitAlbenKonzerteLieder)
2017 (FazitAlbenKonzerteLieder)
2016 (FazitAlbenKonzerteLieder)
2015 (FazitAlbenKonzerteLieder)
2014 (FazitAlbenKonzerteLieder)
2013 (FazitAlbenKonzerteLieder)
2012 (FazitAlbenKonzerteLieder)
2011 (FazitAlbenKonzerteLieder)
2010 (FazitAlbenKonzerteLieder)
2009
2008
2006
2005
2004

Mieses 2023?

Oft konnte man in den letzten Tagen lesen oder hören: „Gut, dass dieses miese Jahr 2023 jetzt zu Ende ist!“ Viele sind genervt und erschöpft von den unzähligen Problemen, Kriegen und Debatten, die 2023 die Nachrichten und die Gespräche auf Familienfeiern oder beim Feierabendbierchen bestimmt haben. Dass sie sich einen Schlussstrich unter all die Dauerkrisen wünschen, kann ich gut nachvollziehen.

Nur ist es leider recht unwahrscheinlich, dass sich all die komplexen Themen mit dem Jahreswechsel erledigen werden – bloß, weil sich die Jahreszahl ändert, wird nicht magisch Frieden auf Erden, ist die Klimakrise nicht abgehakt oder sind die Haushaltssorgen der Bundesregierung kein Schnee von gestern. Die anstrengenden Nachrichten werden weitergehen. Da scheint es mir sinnvoller, mal zu überlegen, ob ich als einzelner ja vielleicht in meinem Alltag etwas ganz Konkretes anpacken könnte, das die Welt ein wenig besser macht.

Außerdem: kein Jahr ist immer nur von vorn bis hinten mies. Auch 2023 haben sich Menschen verliebt. Geheiratet. Eine Ausbildung erfolgreich abgeschlossen. Kinder bekommen. Laufen gelernt. Anderen geholfen. Geld gespendet. Sich ehrenamtlich engagiert. Nein, dadurch lösen sich die großen Krisen nicht in Luft auf. Und doch haben auch diese vermeintlich kleinen, guten Dinge 2023 mitgeprägt. Sie geben mir Kraft und Hoffnung für das neue Jahr. Denn das wird gewiss auch wieder herausfordernd. Los, packen wir’s an!

Hinweis:
Diesen Text habe ich für die Leipziger Volkszeitung geschrieben, in der er am 29. Dezember 2023 in der Kolumne “Der Gedanke zum Wochenende” erschienen ist. Außerdem ist er als „Impuls der Woche“ auf Kirche-Leipzig.de abrufbar.

Mein 2023: Lieblingslieder

Niels Frevert – Pseudopoesie
So flatterhaft wie Flatterband, Achterbahnromanze in einem tristen Heile-Welt-Roman, Pseudopoet, Pseudopoesie

The Cat Empire – Owl
One more for this life, one more for the show, one more for the sky and the fire down below. One more for the night where the purple lilacs grow, one more for the dead and one more for the road

David Holmes & Raven Violet – Necessary Genius
Dreamers, misfits, radicals, outcasts, outsiders, oddities, revolution, working class, icon, wrote off, segregated, get lost, creators, believers, necessary genius

Blues Traveler – Qualified
Your steak ain’t no hipper than my porkchop, your Cadillac ain’t no hipper than my bus stop

Apsilon – Baba
Ich fühl sehr viel, wenn ich schweig‘, ich fühl wenig, wenn ich rede. Ich bin auch manchmal allein, komm mir selber in die Quere

Cameron Whitcomb – Shoot Me Dead
Should’ve left me at the door, but you let me in. And now your heart is on the floor

Austin Giorgio – You Put A Spell On Me
You keep me going in potions and bottles and I can’t escape

LP Giobbi – All I Need
And day by day, sweetheart, I find, these are the ties that bind

Gengahr – Red Sun Titans
Comin‘ up on the bend, two steps from the edge. Comin‘ up on the bend, two steps over

Jeremias – Egoist
Alles bleibt so, wie es ist und das ist gut, doch nichts für mich. Jede Gewohnheit bringt mich um und jede Regel macht mich stumm

Josh Ritter – For Your Soul
Will you be worthy and yet unworthy in the same breath and look yourself in the mirror? Will you be righteous and strong by saying when you are wrong and put aside your own fear?

Dogs In A Pile – Say Something
Can‘ you see there’s nothing wrong with me or the way I’m loving you

Ben Harper – Love After Love
Now I sit and watch myself go insane. It’s a bittersweet freedom, but freedom just the same

Husten – Für immer und ewig
Ein Lied will ich schreiben, ein Lied, das uns einfängt in seiner Leuchtfeuermelodie, warmherzig und spleenig. Doch die Notizbuchfragmente, sie fransen aus an den Enden oder prallen gegen Wände und rufen ständig: ich seh’s nicht

Sinéad O’Connor – The Skye Boat Song
Sing me a song of a lass that is gone. Say, could that lass be I?

Meine Lieblingslieder 2023 gibt’s hier als Spotify-Playlist.

Siehe auch:
Lieblingslieder 2022 (Spotify), 2021 (Spotify), 2020 (Spotify), 2019 (Spotify), 2018 (Spotify), 2017 (Spotify), 2016 (Spotify), 2015 (Spotify), 2014 (Spotify), 2013 (Spotify), 2012 (Spotify), 2011 (Spotify), 2010 (Spotify),  2009 (Spotify),  2008. Alle Jahres-Lieblingslieder seit 2008 in einer Playlist: hier.

Mein 2023: Lieblingskonzerte

Lawrence, Hamburg

Ein gutes Konzertjahr geht zu Ende, von dem mir viel in Erinnerung bleiben wird. Der 2zueins!-Band-Betriebsausflug zu Danny Dziuk ins Neue Schauspiel Leipzig etwa. Und Lawrence in Hamburg – Stimm- und Performancewunder Gracie, Bruder Clyde und die sechs weiteren Bandmates sorgten für die kurzweiligste Show des Jahres.

Ben Harper im Regen in Weimar – und zum Schluss ein Regenbogen bei Amen Omen. Marc Broussards beseelter Auftritt im Colos-Saal in Aschaffenburg! Und Niels Frevert, wie er am Ende eines famosen Konzerts zufrieden von der Bühne der Moritzbastei lächelte.

Schließlich haben Selig auf großer 30-Jahre-Tour in Berlin Halt gemacht und wir waren high, high, high wie in den Neunzigern. Kurz darauf ist dann ein kleiner Traum für mich wahr geworden: im November waren Goose erstmals auf Europatour und ich war in Paris und Köln dabei – es wurden die intensivsten Livemusikmomente 2023.

Siehe auch:
Lieblingskonzerte 2022, 2021, 2020, 2019, 2018, 2017, 2016, 2015, 2014, 2013, 2012201120102009.

Mein 2023: Lieblingsalben

10 Arlo Parks – My Soft Machine
Pop im allerbesten Sinne ist Arlo Parks auf ihrem zweiten Album gelungen: mühelos springt die Londonerin zwischen den Genres hin und her, da hört man Neo-Soul und klassischen R’n’B genauso wie Folk- und Indierock-Anleihen. Eine Vielfalt, die jedoch nie beliebig oder ziellos wirkt. Standout Tracks: I’m Sorry, Devotion, Pegasus

9 Felix Kramer – Oh wie schön das Leben is
Der Titelsong dieser Platte war mein liebstes Lied 2022, nun also das Album. Es steckt voller präziser Allagsbeobachtungen, origineller Gefühlsbeschreibungen und subtiler musikalischer Zitate. Zum Niederknien. Standout Tracks: Ich bleib sitzen, Donau, Er sagt, dass er sich bemüht

8 Dave Matthews Band – Walk Around The Moon
Nach fünf Jahren Studiopause eine Songsammlung, bei der die Hälfte der Tracks Zweieinhalbminuter sind – und das bei einer Band, die für ihre XXL-Liveperformances bekannt ist? Hätte schief gehen können, ist es aber nicht. Die Konzentration aufs Wesentliche funktioniert, entstanden ist eine Art DMB-Destillat. Standout Tracks: It Could Happen, All You Wanted Was Tomorrow, Monsters

7 Ren – Sick Boi
Der „Bard of Brighton“ ist meine musikalische Entdeckung des Jahres: Ren rappt, singt, spielt Klavier und Gitarre. Vor allem aber erzählt er Geschichten. Diese Songs nebenbei zu hören, ist mir unmöglich; Rens Performances erfordern volle Aufmerksamkeit. Lieder wie Spielfilme – meisterhaft. Standout Tracks: Money Game, Pt. 3, What You Want, Loco

6 Blues Traveler – Traveler’s Soul
Popper, zum Ersten: Einmal mehr geht der Blues Traveler auf musikalische Wurzelreise. Huldigte die Band vor zwei Jahren dem Blues, knöpft sie sich diesmal Soul-Klassiker vor. Und liefert ab – BT-Album Nummer 15 besticht einmal mehr durch Spielfreude und Lässigkeit. Standout Tracks: Qualified, Last Train, Just Kissed My Baby

5 Josh Ritter – Spectral Lines
Vor zwei Jahren verstarb Josh Ritters Mutter. Spectral Lines ist tief von diesem einschneidenden Moment geprägt. Ein sonderbar schwebendes, nachdenkliches, verschrobenes Album voller großer Songs. Standout Tracks: Horse No Rider, Whatever Burns Will Burn, In Fields

4 Niels Frevert – Pseudopoesie
Spannende Kombi: Niels Frevert macht gemeinsame Sache mit Tim Tautorat, der zuletzt für und mit Faber, Jeremias und Betterov produzierte. Tautorats moderner, dichter Pop-Sound passt verblüffend gut zu Freverts Poesie, an der auch diesmal ganz und gar nix „pseudo“ ist. Standout Tracks: Pseudopoesie, Waschbeckenrand, Ende 17

3 Jenny Owen Youngs – Avalanche
Wieso bin ich eigentlich nicht schon viel früher auf Jenny Owen Youngs gestoßen? Die Frau macht seit fast 20 Jahren tolle Musik, das letzte Album ist mal eben elf Jahre her. Nun also Avalanche: starke, intensive Songs, mit Leichtigkeit und einer gewissen Beiläufigkeit performt. Standout Tracks: Avalanche, Knife Went In, Salt

2 Ben Harper – Wide Open Light
Kein Jahr ist das hochpolitische, laute „Bloodline Maintenance“ alt, da legt Ben Harper bereits nach. Mit einer Sammlung intimer, minimalistisch arrangierter Songs, darunter auch Livemitschnitte. Klingt nach Kraut und Rüben und Compilation, ist aber aus einem Guss – betörend schön. Standout Tracks: Trying Not To Fall In Love With You, One More Change, Love After Love

1 John Popper & Jono Manson – Bootlegger Days!!
Popper, zum Zweiten: Gemeinsam mit Mentor und Wegbegleiter Jono Manson hat der Blues Traveler-Frontmann während der Corona-Quarantäne eine Art Konzeptalbum eingespielt. Die beiden erzählen in zwölf Songs lose miteinander verwobene Storys aus dem Leben eines Schmugglers in der Prohbitionszeit. Blues, Americana, Rock – die musikalischen Mittel mögen nicht originell sein. Doch was und wie die beiden alten Freunde hier abliefern, ist einfach verdammt gut. Standout Tracks: Cabin Fever, Your Crazy, When The Morning Comes

Meine zehn Lieblingsalben 2023 gibt’s hier als Spotify-Playlist.

Siehe auch:
Lieblingsalben 2022, 2021, 20202019, 2018, 2017, 20162015, 2014, 201320122011201020092008200620052004.